Ich bin doch nicht psychisch!" Paradigmenwechsel im Umgang mit "Histaminunverträglichkeiten"

Veröffentlicht am 18. November 2024 um 18:58

Die Diagnose einer Histaminose, oft auch als "Histaminintoleranz" bezeichnet, stellt sich für viele Betroffene erst nach einer langen und oft frustrierenden Ärzteodyssee. Typische Beschwerden wie Durchfall, Blähungen, Bauchschmerzen und Krämpfe, aber auch Schwindel, Kopfschmerzen, Juckreiz, Herzrasen und Schlafstörungen führen in der Regel zu zahlreichen Arztbesuchen. Diese Symptome lassen sich jedoch häufig nicht eindeutig erklären, was die Diagnose erschwert. In manchen Fällen wird ein niedriger Wert des Enzyms Diaminoxidase (DAO) festgestellt, was als mögliche Ursache für die Unverträglichkeit von Histamin in der Nahrung angesehen wird. Betroffenen wird daher meist geraten, alle histaminhaltigen Lebensmittel strikt zu meiden.

Obwohl eine Diagnose oft Erleichterung bringt, ist das dauerhafte Meiden von Histamin in der Ernährung weder genussvoll noch langfristig zielführend. Da Histamin als natürlicher Bestandteil des Lebens allgegenwärtig ist, bedarf es eines grundsätzlichen Paradigmenwechsels im Umgang mit dieser Unverträglichkeit.

Leben ohne Histamin ist unmöglich

Histamin ist ein natürlicher Bestandteil der belebten Natur und spielt im menschlichen Körper eine wesentliche Rolle. Entdeckt im Jahr 1911, zählt es zur Gruppe der biogenen Amine und fungiert als sogenanntes Gewebshormon. Im menschlichen Organismus wird Histamin aus der Aminosäure Histidin gebildet, vor allem in Mastzellen, basophilen Granulozyten und spezialisierten Nervenzellen, und kann dort auch gespeichert werden. Diese biologische Grundlage verdeutlicht die enorme Bedeutung von Histamin für den Körper. Als Entzündungsmediator unterstützt es die Immunzellen bei der Abwehr und hilft bei der Reaktion auf Parasiten und allergische Reize – ein Prozess, der oft mit typischen Symptomen wie Juckreiz, Schwellung, Rötung, Schmerzen, Urtikaria und Anaphylaxie einhergeht.

Die Wirkung von Histamin auf das zentrale Nervensystem (ZNS) ist noch nicht vollständig geklärt, jedoch deuten zahlreiche Studien auf eine komplexe Rolle hin. Bisher sind vier verschiedene Histaminrezeptoren bekannt, die jeweils unterschiedliche Funktionen im Körper erfüllen. Besonders der H3-Rezeptor steht im Verdacht, mit psychischen Erkrankungen in Verbindung zu stehen. Wissenschaftler hoffen, durch ein besseres Verständnis der Histaminrezeptoren neue therapeutische und pharmakologische Ansätze zur Behandlung von neurologischen und psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Schlaf- und Essstörungen sowie Morbus Parkinson zu entwickeln.

Histamin wird häufig auch als "Wachhormon" bezeichnet, da es als Neurotransmitter entscheidend an der Steuerung von Wachheit und Reaktionsfähigkeit beteiligt ist. Damit beeinflusst es indirekt auch Funktionen wie Schlaf, Lern- und Gedächtnisprozesse sowie Angst- und Hungergefühl. Eine ausgewogene Histaminregulation scheint daher von großer Bedeutung für das allgemeine Wohlbefinden zu sein. Interessanterweise spielt nicht nur das körpereigene, sondern auch das in Lebensmitteln enthaltene Histamin eine Rolle, was Betroffene von Histaminose besonders betrifft. Ein gesunder Histaminhaushalt könnte somit einen wichtigen Schlüssel für die Prävention und Behandlung verschiedener neurologischer und psychischer Störungen darstellen.

Histamin in unseren Lebensmitteln

Histamin kommt in nahezu allen Nahrungsmitteln vor – mit Ausnahme von Wasser und reinen Pflanzenölen. Allerdings variiert der Histamingehalt stark je nach Art der Lebensmittel und deren Herstellungs- oder Lagerungsprozess. Besonders hohe Histaminmengen finden sich in Lebensmitteln wie Essig, Sauerkraut, Rotwein, Bier, Champagner, Sekt und Prosecco. Auch lang gereifte und gelagerte Nahrungsmittel wie bestimmte Nüsse, Dosenfisch, Salami, und gereifte Käsesorten (zum Beispiel Roquefort und Emmentaler) sind bekannt dafür, hohe Histaminwerte aufzuweisen. Darüber hinaus enthalten auch Ketchup und Schokolade erhöhte Histaminmengen.

Ein besonders hoher Histamingehalt tritt zudem in fermentierten Lebensmitteln oder solchen auf, deren Reifung durch Mikroorganismen gefördert wird – je länger der Reifungsprozess, desto höher der Histamingehalt. Zu den stark histaminhaltigen Lebensmitteln gehören daher auch vergorene Produkte, bei denen Histamin durch bakterielle Aktivität entsteht und sich im Laufe der Lagerung und Reifung weiter anreichert.

Neben Nahrungsmitteln gibt es auch eine Vielzahl von Medikamenten, die Histamin enthalten oder dessen Abbau im Körper hemmen können. Diese Medikamente können den Histaminhaushalt zusätzlich beeinflussen und sollten bei einer Histaminintoleranz mit Bedacht gewählt werden. Dazu zählen: ASS wie Aspirin, und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR; Schmerzmittel und Entzündungshemmer). 

Prinzipiell kommt ein gesunder Darm gut mit Histamin zurecht. Das mit der Nahrung aufgenommene Histamin wird normalerweise durch das Enzym Diaminoxidase (DAO) abgebaut, das direkt an der Darmschleimhaut wirkt und so überschüssiges Histamin in Schach hält. Eine intakte Darmschleimhaut ist dabei eine weitere wichtige Schutzbarriere, die das Eindringen übermäßiger Histaminmengen ins Blut verhindert. Für die optimale Funktion der DAO ist Vitamin B6 erforderlich – ein Vitamin, das heutzutage aufgrund der modernen Ernährung bei vielen Menschen oft in unzureichender Menge vorliegt. Bei bestimmten Erkrankungen, wie chronischen Darmentzündungen, Kryptopyrrolurie oder Hämopyrrollaktamurie, kann die Produktion der DAO stark eingeschränkt sein. Dies führt dazu, dass das Histamin aus der Nahrung im Dünndarm nicht ausreichend abgebaut werden kann, was zu einem Anstieg des Histaminspiegels im Blut führt. Diagnostisch ist es wichtig, zwischen der DAO-Aktivität im Darm und im Blut zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Funktionen haben.

Histamin spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Fortpflanzung: Es beeinflusst die Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter und ist damit entscheidend für das Zustandekommen einer Schwangerschaft. Zu hohe Histaminwerte können jedoch insbesondere in den ersten 14 Schwangerschaftswochen das Risiko für Komplikationen erhöhen.

Ein gestörtes Histamingleichgewicht kann sich zudem auf das zentrale Nervensystem auswirken. Ein erhöhter Histaminspiegel kann Symptome wie einen beschleunigten Ruhepuls, Schlafstörungen und speziell in der zweiten Nachthälfte Angst und Panik auslösen. Ein chronisch erhöhter Histaminspiegel im ZNS kann darüber hinaus zu entzündlichen Prozessen führen, die Neuronen und Gliazellen beeinträchtigen.

Histamin interagiert außerdem mit anderen wichtigen Neurotransmittern wie Serotonin, Noradrenalin und Acetylcholin, da all diese Botenstoffe den H3-Rezeptor gemeinsam nutzen. Dies kann neurologische oder psychiatrische Symptome wie Angst- und Panikstörungen, depressive Verstimmungen und Konzentrationsstörungen zur Folge haben.

Zentraler Ausgangspunkt: Die Mastzelle

Eine chronische Erhöhung des Histaminspiegels im Blut oder Urin wird als Histaminose bezeichnet. Die Ursache liegt oft in einer dauerhaften Überreizung der Mastzellen, die zu den ältesten und wichtigsten Immunzellen zählen. Mastzellen reagieren schnell auf Bedrohungen des Immunsystems und schütten bei Gefahr verschiedene Botenstoffe aus – darunter Histamin, Heparin, Tryptase, Serotonin, ECP (Eosinophil Cationic Protein), Leukotriene und Chromogranin A. Historisch betrachtet ist Histamin jedoch der wichtigste Botenstoff, da es den größten Anteil der freigesetzten Substanzen in den Mastzellen ausmacht. Forscher vermuten, dass Mastzellen noch zahlreiche weitere Botenstoffe abgeben, die bislang noch nicht vollständig identifiziert sind.

Mastzellen sind für die Immunabwehr unerlässlich, denn ohne sie könnte weder die angeborene noch die erworbene Immunantwort des Körpers richtig funktionieren. Im Blut finden sich Mastzellen nur selten; sie sind überwiegend in der Haut, den Schleimhäuten, im Magen-Darm-Trakt, den Bronchien, der Blase, der Gebärmutter und sogar im zentralen Nervensystem angesiedelt.

Eine besondere Form der Histaminose stellt die nicht-allergische Mastzellenaktivierung dar, die unter dem Begriff "Mastzellaktivierungskrankheiten" (MCAD – Mast Cell Activation Diseases) bekannt ist. Eine Unterform ist das Mastzellenaktivierungssyndrom (MCAS), das eine chronische Überreaktion der Mastzellen ohne spezifische Allergieauslöser beschreibt. Im nächsten Teil dieses Beitrags möchte ich genauer auf das MCAS und dessen Besonderheiten, Diagnostik und Therapie eingehen.

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Literatur

 

- Kaufffmann, K. (2021) OM & Erährung: Histaminintoleranz gibt es nicht- für ein ganzheitliches Verständnis von Histamin und Mastzellenaktivierung, Sonderdruck, S. 2-4, internationales Journal für orthomolekulare und verwandte Medizin

- Kauffmann, K. & S. (2021): Histaminfragebogen, S. 147 - 154, 2. Auflage, VAK Verlag


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